Die Frau des Jahres
Palastical
Musik von Gerd Natschinski
Arrangements von Gerhard Kneifel
Buch und Liedtexte von Jürgen Degenhardt und Helmut Bez
Inszenierung
Uraufführung: 9. November 1963
Friedrichstadt-Palast, Berlin, DDR
- Musikalische Leitung: Karl Stäcker
- Regie: Wolfgang E. Struck
- Kapellmeister: Robert Ebeling
- Choreografie: Aldo Terwicz
- Bühnenbild und Kostüme: Wolf Leder
Besetzung:
- Vanna, Reporterin des Magazins "Eldorado": Vanna Olivieri
- Manfred, Ingenieur: Manfred Raasch
- Otto, Smutje auf der "Berlin": Manfred Uhlig
- Kapitän auf der "Berlin": Horst Kube
- Salu, Chef des Magazins "Eldorado": Werner Fink
- Roger, sein Sekretär: Kurt Henning
- Schichtleiter auf der Baustelle Schwedt / Stimme des Kamels: Edwin Matt
- Playboys / Gauchos / Matrosen / Touristen: Enzo-Trio
Artisten
- Gerd Wendel & Ass. (Äquilibristik auf freistehender Leiter)
- Trapezos (Synchrontrapez)
- Les Andreano (Illusionisten)
- 2 Trux (Balancen)
- Ariela & Felix (Tänzerische Artistik am Vertikalseil)
- Bill Terry & Cora (Bullpeitschen und Messer)
Ballett
- Frauen: Edina Balogh, Elke Rieckhoff, Eva Schirmer, Hanna Fischer, Eveline Gherbel, Heindrun Stantke, Helga Rümmler, Jutta Klöppel, Irén Nagy, Waltraud Bongard, Ingrid Dingel, Doris Stolpmann, Monika Kabel, Eva Bognár, Lieselotte Burrmann, Ingrid Dingel, Karin Grapentin, Brigitte Hänsel, Monika Kabel, Ena Kaiser, Ursula Lemke, Ursula Müller,Ursula Prasse, Jutta Rheinhold, Helga Rümmler, Ursula Tilgner, Marianne Zeitz
- Männer: György Klapka, Rolf Pfannenstein, Siegfried Stolpmann, Frantisek Voldán, Horst Dübner, Dieter Benedix, Christian Blumenschein, Wolfgang Ernst, Herbert Krause, Walter Krüger, Heiner Kuhnt, Erich Siebert, Manfred Weißpflog, Jochen Weykopf
Manfred Uhlig und Manfred Raasch im Schwedt-Bild. © Archiv Friedrichstadt-Palast, Inv.-Nr. A19394
Fotograf: Helmut Raddatz
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Premierenchronik
DDR | UA | 9. November 1963 | Friedrichstadt-Palast, Berlin |
Inhaltsangabe
Die französische Journalistin Vanna arbeitet für ein dubioses Klatschmagazin mit dem bezeichnenden Titel "Eldorado", irgendwo im "Westen". Zur Rettung der finanziell angeschlagenen Zeitschrift soll sie den "Mann des Jahres" finden und über ihn berichten. Sie reist nach Monte Carlo, doch dort erweisen sich die zahlreichen reichen Playboys alle als Hohlköpfe. Vanna reist weiter nach Kuba, wo seit 1959 Fidel Castro den sozialistischen Umbau des Staates vorantreibt. Dort trifft sie auf Manfred aus der DDR, ein Arbeiter, Bauingenieur, klug, klassenbewusst und ein Bild von einem Mann. Eine Liebesgeschichte beginnt. Doch Manfred muss am nächsten Morgen mit seinem Kumpel Otto per Schiff zurück in die Heimat, wo er in Schwedt/Oder beim Aufbau der sozialistischen Stadt rund um die Erdölraffenerie hilft. Vanna schmuggelt sich an Bord, wird jedoch vom Kapitän entdeckt und einem zufällig vorbeikommenden französischen Schiff hinübergereicht.
Manfred und Otto befinden sich in Schwedt. Man singt zusammen den Pipeline Blues. Da entdeckt Manfred zufällig in der Zeitung Vannas Foto: Sie sei in Kairo und suche weiterhin den "Mann des Jahres". Manfred entscheidet sich, sofort zu ihr zu fliegen. Man verabredet sich. Manfred kommt per Hubschrauber und kann erneut beeindrucken. Vanna hat den "Mann des Jahres" gefunden. Doch sie erfährt, dass die Zeitschrift "Eldorado" ihr Erscheinen eingestellt hat; ihr vormaliger Chef habe sich nach Maimi vor seinen Schuldnern zurückgezogen. Vanna kann jetzt nicht mehr berichten. Manfred tröstet sie, er habe stattdessen die "Frau des Jahres" gefunden, nämlich sie - und jetzt solle sie mit ihm kommen, zurück nach (Ost)Berlin. Finale: Auf der Bühne die Nachbildung des Aufbauzentrums, Ballett, Artistik, Friede, Freude, Liebesglück.
(Wolfgang Jansen)
Vanna Olivieri, Manfred Raasch und Horst Kube auf Schiff. © Archiv Friedrichstadt-Palast, Unv.-Nr. A19393 |
Kritiken
"Die Geschichte von der reisenden Reporterin stammt von Jürgen Degenhardt und Helmut Bez, Leuten, die sich mit Operettenlibrettos auskennen ("Musik ist mein Glück", "Schwarze Perle", "Servus Peter"). Sie begriffen, daß man im Friedrichstadt-Palast, um die große Spielfläche sinnvoll ausnutzen zu können, häufig die Schauplätze wechseln muß. Das kommt auch der Schaulust des varieté-Publikums entgegen. Mit dieser Erkenntnis verfielen sie leider der im Palast zyklisch wiederkehrenden Weltreisestory, der freilich auch sie keinen besonders neuen Einfall mehr zu entlocken vermochten. Die gesprochenen Texte erscheinen gelegentlich recht simpel und lassen oft genug nur den Ablauf stocken. Auch könnte es nicht schaden, wenn man sich selbst ein bißchen mehr zum Besten hielte. Im zweiten Teil geben die Autoren - offenbar infolge Zeitdrucks - den Versuch auf, die große Handlung folgerichtig weiterzuführen.
Wirklich neu aber ist, daß man neben dem Text diesmal auch die Musik exklusiv für den Palast verfassen ließ. Und hier komponierte Gerd Natschinski einige recht hübsche eingängige Schlagermelodien (etwa: ´Bonjour l´amour´, das Seemannslied ´Die Liebe ist immer an Bord´, ´Auf Wiedersehn bis später´), die dem Publikum behagen - aufgeräumt klatscht man im Takt mit. [...]
Alles in allem erweist sich das Palastical Nr. 1 als eine Art Musical für die Varietébühne. Es ist ein erster Versuch, der bei großer repräsentativer Ausstattung im Text und in einzelnen Passagen von der Inszenierung verbessert werden kann."
G.S.: "Die Frau des Jahres", Friedrichstadt-Palastical Nr. 1. In: Berliner Zeitung, 16. November 1963.
"Gelungen und in der Publikumswirkung verblüffend sind die Filmeinblendungen. Sie dienen nicht nur der Illustration der Handlung, sondern - und hier ist man mit dem Palastical einen guten Schritt nach vorn gegangenen - erfüllen wichtige dramaturgische Funktionen. Projiziert auf zwei seitlich angebrachte Leinwände, widerspiegeln die Filme die inneren Regungen der Figuren (poetisch das erste Treffen der Verliebten), überbrücken komisch Raum und Zeit (die Flugreise ist köstlich) und kennzeichnen Milieu und Stimmung (die Rouletteszene ist großartig gefilmt und getanzt).
Gerd Natschinskis Kompositionen (in den einfallsreichen Arrangements Gerhard Kneifels) vermeiden wohltuend alte Operettenseeligkeit, spannen den Bogen vom modernen Schlager bis zu kabarettistischen und musicalmäßigen Ensembles, erfüllen ganz und gar die ihnen zugedachten, handlungstragenden Aufgaben. In diesem Punkt konnte man zu dem Versuch von ganzem Herzen ja sagen.
Sonst jedoch bleibt das Verdienst der Produzenten recht begrenzt. Vor allem ein Textbuch, das eine lebenswahre Geschichte zur Grundlage hat und Geschmack beweist, das keine Kompromisse mit der Revue alten Stils eingeht und den - meiner Meinung nach erst zu entdeckenden - Gesetzen einer eigenen Dramaturgie nachgeht, ist noch zu finden."
Horst Gebhardt: Die Frau des Jahres, Palastical Nr. 1: Versuch mit einem neuen Genre. In: Theater der Zeit, Nr. 23, 1. Dezember 1963, Seite 8-9.
"Dann aber gerät die Chefreporterin des ´Eldorado´ auf die Idee, den ´Mann des Jahres´ in Havanna zu suchen. Hätte sie es nur nie getan.
Hat man wirklich im Palast nicht daran gedacht, daß wir hervorragende Tanzinterpreten mit südlichem Temperament schon oft in Berlin und gerade auch im Palast begrüßen und bewundern durften? Bestimmt hat das Ballett an die ´kubanischen´ Tänze manch harte Trainingsstunden gewandt, aber was gezeigt wird, steht in keinem Verhältnis zur Mühe. Der Nationaltanz soll gepflegt werden, aber was hier gezeigt wird, wird nun einmal nur gezeigt und nicht gekonnt. Das Bild in Havanna wird zur ersten sehr schwachen Szene. Und die Gestalt des Otto Smutje, von Manfred Uhlig gespielt, deren ganzer ´Humor´ darin besteht, daß sie ununterbrochen sächseln muß, macht die weitere Handlung auch nicht lustiger.
Nach einem ganz vergnüglichen Zwischenspiel - durch Tanz und Musik vergnüglich - kehrt Ingenieur Manfred (Manfred Raasch) zurück nach Schwedt. Hier erreicht die Musik Natschinskis mit dem Pipeline-Blues durchaus seinen Höhepunkt. Und es ist ein anerkennenswertes Verdienst, den Blues auf seine ursprüngliche Form des Arbeitsliedes zurückzuführen. Ist jedoch der Text dazu noch recht zweifelhaft, so wünsche ich den Gestaltern nur, daß die Arbeiter in Schwedt diese Szene erleben. Moderne Interpretation um des ´Modernen´ willen? Man soll es sich doch nicht gar so einfach machen.
Und daß der Ingenieur, ein so großer Fachmann, den man in die ganze Welt hinausschickt, damit er in sozialistischer Hilfe beim Bau von Wasserstraßen hilft, seine Entscheidung - zum Wohle des Schwedter Werkes dort zu bleiben - um der geliebten Frau willen eine Minute später umstößt, das läßt den Gedanken aufkommen, daß man das Palastical wohl doch nicht so ernst nehmen sollte, wie es das Programm behauptet."
Usch: "Casuela chilena schmeckt so wunderbar!" Und wie schmeckt das Palastical Nr. 1?. In: Neue Zeit, 16. November 1963.
Enzo-Trio als Playboys. © Archiv Friedrichstadt-Palast, Inv.-Nr. A19391 |
Medien / Publikationen
Audio-Aufnahmen
- "Eldorado" (A-Seite), "Bonjour, lámour" (B-Seite), Studio-Einspielung, 1963, Vanna Olivieri, aus "Die Frau des Jahres", Amiga 450 387. (Vinyl, Single)
- "Die Liebe ist immer an Bord" (A-Seite), "...dann ist mein Glück gemacht" (B-Seite), Studio-Einspielung, 1963, Manfred Raasch, aus "Die Frau des Jahres", Amiga 450 406. (Vinyl, Single)
- "Auf wiederseh´n bis später" (A-Seite), "Hasta manana, Chonchita" (B-Seite), Studio-Einspielung, 1963, Enzio Trio, aus "Die Frau des Jahres", Amiga 450 386. (Vinyl, Single)
Literatur
- Wolfgang Carlé, Heinrich Martens: Kinder, wie die Zeit vergeht, Eine Historie des Friedrichstadt-Palastes, Berlin. Berlin (DDR): Henschel 1987.
- Michael Stolle: Der Komponist Gerd Natschinski, Musical, Filmmusik und Schlager in der DDR. Hamburg: tredition 2018.
Empfohlene Zitierweise
"Die Frau des Jahres". In: Musicallexikon. Populäres Musiktheater im deutschsprachigen Raum 1945 bis heute. Herausgegeben von Wolfgang Jansen und Klaus Baberg in Verbindung mit dem Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. www.musicallexikon.eu
Letzte inhaltliche Änderung: 28. Mai 2021.