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Amerikanisches Detektivinstitut Lasso

Musical


Musik von "Les Trucs" (Charlotte Simon & Zink Tonsur)
Text von Nils-Momme Stockmann

 

 

Inszenierung


Uraufführung: 17. Februar 2016
Staatsschauspiel, Hannover, Bundesrepublik Deutschland

  • Musikalische Leitung: Les Trucs
  • Regie: Lars-Ole Walburg
  • Bühnenbild: Robert Schweer
  • Kostüme: Anna Rudolph
  • Lichtgestaltung: Heiko Wachs

 

Besetzung:  

  • Stimme des radikalen Anspruchs: Jonas Steglich
  • Unsicher wirkender junger Mann: Jakob Benkhofer / Vanessa Loibl / Jonas Steglich
  • Rezeptionist / Echter echter Intendant / Der Dramaturg: Silvester von Hössling
  • Lektor / Echter unsicher wirkender junger Mann: Katja Gaudard
  • Referentin / Echter echter unsicher wirkender junger Mann: Beatrice Frey
  • Intendant: Dominik Maringer
  • Echter Intendant: Jakob Benkhofer
  • Haarmann: Vanessa Loibl
  • Echter echter echter unsicher wirkender junger Mann: Zink Tonsur
  • Echter echter echter Intendant: Charlotte Simon
  • Live-Musik: Charlotte Simon / Zink Tonsur
  • Chor: Ensemble

 

 

 

Premierenchronik

D UA 7. Februar 2016 Staatsschauspiel, Hannover

 

 

 

Inhaltsangabe


"Ein unsicher wirkender junger Mann, der Autor eines neuen noch zu schreibenden Musicals über den Massenmörder Fritz Haarmann, checkt im City-Hotel am Thielenplatz ein. In seinem anfänglich unverfänglichen Gespräch mit dem Rezeptionisten verwickelt sich der junge Mann schon bald in tiefe Widersprüche betreffend seines Auftragswerkes. Die Dispute über Sinn und Zweck dieses Auftrags setzen sich auf unterschiedlichste Weise fort, mit dem Intendanten des Schauspiels, seinem Lektor und der Dramaturgie. Und immer stärker kristallisiert sich die Frage heraus, was Kunst eigentlich soll, was sie kann, was sie je für uns getan hat. Wie frei darf Kunst sein? Ist sie abhängig von der gesellschaftlichen Reflexion eines Themas und den dazu veröffentlichten privaten Meinungen? Darf Fritz Haarmann in einem Musical singen? In seinem neuen Stück Amerikanisches Detektivinstitut Lasso reflektiert Nis-Momme Stockmann die heutige Schwierigkeit eines gesellschaftsverändernden und politischen Kunstanspruches. Er plädiert für eine Kulturtechnik, in der das Scheitern kein Synonym für Versagen, sondern ein Ausgangspunkt für produktive Zweifel ist."

(Inhaltsangabe Staatstheater Hannover zitiert nach [https://unitedmusicals.de/musical/amerikanisches-detektivinstitut-lasso/], aufgerufen 4. April 2024)

 

 

 

Kritiken

 
"Na, das kann ja heiter werden. Fritz Haarmann, Musicalstar. Für diese Ankündigung bekam das Staatstheater Hannover mahnende Briefe, die regionalen Medien setzten sich mit auf die Empörungsschaukel. Ja, dieser Haarmann. Urhannoveraner! Dort geboren. Dort gestorben. Und wie: 1924 per Fallbeil geköpft. Warum? 24 Jungen aus dem Bahnhofsmilieu soll der kleinkriminelle Polizeispitzel sexuell ausgenutzt, per Raubtierbiss getötet, metzgergerecht zerlegt, ihre Habseligkeiten und auch ihr zu Wurst und Sülze verarbeitetes Fleisch verkauft haben.

[...] Jedenfalls tritt nun in 'Amerikanisches Detektivinstitut Lasso', das stand auf den Visitenkarten des Täters, eine Haarmann-Figur mit entindividualisierender Gesichtsmaske und Hackebeil auf, will ihre Show starten, wird aber prompt vom Ensemble gestoppt. Weil Stockmann sich selbst diese Szene verbietet. Was erzählt das? Stockmann vermittelt es nicht. Macht aber ehrlich deutlich: Ihm fiel einfach sonst nix ein. Und so schrieb er ein Musical zum 'Scheitern am Musical über Fritz Haarmann'. Und scheitert auch damit.

[...] Die Aufführung selbst bemüht sich sehr gekonnt um Unterhaltungswerte. Regisseur Lars-Ole Walburg spielt lässig mit Musicalklischees, lässt ironisch tänzeln, mal chorisch prägnant sprechen, mal lamentierend monologisieren. Niedlich gesungen wird auf streichzart tuckernden, von Klangmelancholietau beschwerten Wohnzimmer-Electro-Beats des live Tasten drückenden Les-Trucs-Duos. Hübsch rauf und runter transponierte Schlagermelodien haben sie komponiert. Das famose Ensemble agiert Soap-Opera-keck. So dass ab und an vergessen werden kann, dass Theater hier eben nicht zeigt, was es will, sondern nur hin und her, kreuz und quer mit Leitartikelvokabular buchstabiert, was es nicht will. Walburg zitiert dazu schön beiläufig auch Tops und Flops und Gags der Stadt- und Aufführungsgeschichte seiner Hannoveraner Intendanzzeit. Als wäre dieser Abend der letzte dieser Ära."

Jens Fischer: Das Scheitern am Scheitern. In: Die Deutsche Bühne, 18. Februar 2016.

 

"Der vielfach ausgezeichnete 34-jährige Dramatiker Stockmann beschreibt das Scheitern eines jungen Mannes am Auftrag, ein Musical über Fritz Haarmann zu schreiben. Der Serienmörder fungiert als Auslöser für weitschweifende Reflexionen über die Aufgaben und Wirkung von Kunst, über die eigene politische Haltung in der Flüchtlingskrise oder über Pegida. Der Zuschauer fragt sich mitunter, warum Stockmann nicht ein kulturpolitisches Essay statt eines Theaterstückes geschrieben hat. Zwar gibt es Selbstironie und einige komische Momente. Insgesamt wird jedoch nicht ersichtlich, warum die Akteure Anleihen beim Pathos und bei den großen Gesten des Musicals machen.

Den 'unsicher wirkenden jungen Mann', die Figur des Autors, verkörpern sieben Schauspielerinnen und Schauspieler, oft ein mehrstimmiger Chor von Klonen im Karohemd. Nur in einer Szene erscheint Haarmann als Phantom im Anzug mit Hut und weißer Strumpfmaske über dem Gesicht. In der Hand hält er das Hackebeil. Er ist nicht das Monster, das Tier, der Unmensch, sondern einer von Tausenden. Stockmann geht es darum zu zeigen, dass wir heute noch wie zu Haarmanns Zeiten das Böse 'outsourcen', statt in uns selber zu suchen. 

dpa [ohne Autorennennung]: Haarmann-Musical über das Scheitern. In: Focus Online, 18. Februar 2016.

 

"Gefangen in einem bühnengroßen Käfig aus Metallstreben und Meta-Ebenen steht ein unsicher wirkender Mann auf der Bühne. Er stellt den Autor des Musicals über den Serienmörder Fritz Haarmann dar. Dieses versucht er, unsicher zwar, aber mit Unterstützung des Chores und abendfüllender Ausdauer, anzukündigen. Doch bevor die Handlung von 'Amerikanisches Detektivinstitut Lasso' so richtig in Fahrt kommt, entspinnt sich eine ganz andere Handlung: Ein Diskurs über das eigene, das künstlerische Schaffen des Autoren. Und bevor man auch nur 'Fritz Haarmann' sagen könnte, säuselt der Chor der Theaterautoren: 'Die Kunst hat eine Aufgabe, / nämlich zu langweilen.'

[...] Groß war der Aufruhr, als das Staatstheater vergangenes Jahr ein Bühnenstück zum Thema ankündigte, noch dazu ein Musical. Die lokale Presse und Nachfahren der Opfer waren empört, wollten die Inszenierung verbieten lassen. [...] Der Autor des Stücks, Nis-Momme Stockmann, ließ sich von den Bedürfnissen und Befindlichkeiten der Hannoveraner jedoch nicht aufreiben und machte das einzig Sinnvolle aus seinem Dilemma: ein Stück über Haarmann ohne Fritz Haarmann. [...] Begleitet werden seine Gespräche mit der Lektorin, dem Intendanten und dem Dramaturgen vom wabernden Synthiepop des Duos 'Les Trucs', deren Kompositionen zwar nie dominieren, aber einen raffiniert wohligen Klangteppich unter das Meta-Musical legen – raffiniert, weil erst die affirmative und dennoch ins Satirische oszillierende Popmusik und deren kritischen Texte den alles hinterfragenden, unsicher wirkenden Mann zum glaubwürdigen Sympathieträger machen."

Kornelius Friz: Herausragend gescheitert. Die Figur des Serienmörders Fritz Haarmann sorgt in Hannover noch immer für Aufregung. In: taz, die tageszeitung, Nord/Kultur, 18. Februar 2016.

 

 

 

Medien / Publikationen

 

Literatur

  • Christine Pozsar / Michael Farin (Hrsg.): Die Haarmann-Protokolle. belleville, 2009.
  • Theodor Lessing: Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs. Scius, 2016.

 

 

Kommentar

 
Da das Programmheft aktuell noch nicht vorliegt wurden die Angaben der seinerzeitigen Presse entnommen.

 

 

Empfohlene Zitierweise

 
"Amerikanisches Detektivinstitut Lasso". In: Musicallexikon. Populäres Musiktheater im deutschsprachigen Raum 1945 bis heute. Herausgegeben von Wolfgang Jansen und Klaus Baberg in Verbindung mit dem Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. www.musicallexikon.eu

Letzte inhaltliche Änderung: 4. April 2024.