Oh What A Lovely War (Ach, was für ein reizender Krieg)
Musical
von Joan Littlewood, Charles Chilton und den Mitgliedern der Originalbesetzung
[Musik: diverse]
[Liedtexte: diverse]
Inszenierung
DDR Erstaufführung (in. Engl.): 8. Oktober 1965
Metropoltheater, Berlin, DDR
Gastspiel des Theatre Workshop London bei den Berliner Festtagen 1965
- Regie: Brian Murphy unter Mitarbeit von Joan Littlewood
- Musikalische Leitung: Thomas Erskine
- Ausstattung: John Bury
- Choreographie: Denny Bettis
- Kostüme: Una Collins
Besetzung:
Die Pierrots:
- Pat Ashton
- Jacques Baillon
- Denny Bettis
- Gaye Brown
- Raymond Duparc
- Gary Files
- NIgel Hawthorne
- Calin Kemball
- Joan Kennedy
- John Lyons
- Brian Murphy
- Stanley McGeagh
- Jennie Paul
- Lesley Portlock
- Gerry Raffles
- Tony Sibbald
Premierenchronik
GB | UA | 19. März 1963 | Theatre Royal, London-Stratford East |
USA | EA | 30. September 1964 | Broadhurst Theatre, New York |
D | EA (i. Engl.) | 29. Dezember 1964 | Stadttheater Münster (Gastspiel) |
CH | EA (i. Engl.) | 7. Januar 1965 | Schauspielhaus Zürich (Gastspiel) |
DDR | EA (i. Engl.) | 8. Oktober 1965 | Metropoltheater, Berlin (Gastspiel) |
Kritiken
"Eine Revue über den Krieg? Mit dem Grausigen, dem Entsetzen Scherz treiben? Ein Musical über den Militarismus?
Es erweist sich, daß das möglich ist für den Künstler, der die souveräne Beherrschung alle Theatermittel in sich vereinigt und mit einhelliger Parteinahme zu verbinden weiß. Und das trifft zu auf Joan Littlewood, auf ihren Mitarbeiter Charles Chilton, auf ihr Ensemble. Denn sie alle zeichnen als Verfasser dieser von Brian Murphy inszenierten frech-witzigen und aggressiven Zurschaustellung verantwortlich und beweisen: Die Gedanken, Sehnsüchte und Alltagsselbstverständlichkeiten des sogenannten kleines Mannes sind in London und Birmingham kaum anders als in Berlin und Zwickau, und die pseudopatriotischen Sirenenklänge nahmen sich im Deutschen gleichermaßen lächerlich aus wie im Englischen, so sie nur endlich mit gebührender Respektlosigkeit betrachtet werden.
Ein Zirkusspiel mit sechzehn Pierrots und wenig Requisiten tollt da ab, mit viel Liedern, Tanz und Pantomime und mit der fortwährenden höhnisch-satirischen Überschneidung von Spiel und Wirklichkeit (Wirklichkeit von 1914/18). Das Makabre der Sache, das Grausig-Widersinnige imperialistischer Kriegsgeschichte wird offenkundig im volkstümlichen Narrenspiel, aus dem Munde der Clowns, von der Bretterbühne des Vorstadtheaters, es tritt hervor aus der bewußt gesetzten Sentimentalität eines Liedchens, aus dem derben Spektakel einer burlesken Szene, aus den alten Liedern und ihren neuen (vom Ensemble geschriebenen) Texten. Und über den Szenen, gleichsam ihr optischer Kommentar, ragen die ganz und gar unheroischen Schützengraben- und Schlammlochfotos der Westfront jener Jahre, huschen die sachlich-grausigen Feststellungen über ein Leuchtband: Ein Tag vor Verdun - 20.000 Tote - 90 m Geländegewinn."
Rainer Kerndl: Deutsch-englische Waffenbrüderschaft gegen den Krieg, Zum Auftreten des Workshop-Theatre London in der Hauptstadt. In: Neues Deutschland, Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Nr. 279, 10. Oktober 1965.
"Nein, es ist kein Spaß, der sich da vollzieht, wenn´s auch so komisch aussieht. Ein intelligenter Zynismus reißt die Abgründe auf zwischen lustigen Liedern und der Verzweiflung, zwischen den großen Worten und der grausamen Wirklichkeit, zwischen dem Galgenhumor und dem Sterben, und nichts von den Tatsachen und von den bombastischen Aussprüchen der hohen Militärs ist erfunden, wie unglaublich es auch immer klingt: ´Was bedeuten schon Verluste! Haben die Feinde am Schluß nur 5000 Mann übrig und wir 10 000, dann haben wir gewonnen.´ Da taucht Landru auf, der Blaubart von damals, der schreckliche Lustmörder und Frauenzerstückeler, und ist ein Garnichts gegenüber solch einem hochmächtigen Feldmarschall und die von ihm in Gang gebrachte Blutmühle...
[...] Es gab in der Szene, wo in der Weihnachtsnacht 1914 die einfachen englischen und deutschen Soldaten sich zwischen den Schützengräben verbrüdern, nach stärkstem Mißtrauen anfangs aufeinander zugehen und sich die Hände reichen, spontanen und heftigen Applaus: Demonstration für den Frieden, für die Verständigung und Freundschaft der Völker und die schönste Anerkennung für die völkerverbindende Kraft der Kunst, für den Geist, der das Theatre Workshop und sein Stück ´Oh what a lovely war´ bestimmt."
Helmut Ullrich: Clowns als Kaiser und Soldaten, Das Londoner Workshop-Theater mit seinem geistvollen Musical. In: Neue Zeit, Zentralorgan der Christlich-Demokratischen Union Deutschlkabds, Berliner Ausgabe, Nr. 239, 12. Oktober 1965.
"High Life und Low Life, der in der englischen Literatur, im englischen Theater durch Jahrhunderte hindurch schärfer, grimmiger, durchgehender abgehandelte Gegensatz zwischen oben und unten, erfahren in diesem Musical eine neue Variation. Entsprechend der neuen Dimension (sich ausdrückend etwa in Meldungen wie der folgenden: ´November: Ende der Somme-Schlacht, Verlust: 1 Million 332 tausend Mann. Gewinn: nichts´) verschärft sich der Widerspruch zur bösen Satire, ja die Wirklichkeit selbst bringt als angemessenen künstlerischen Ausruck die Groteske hervor, weil sie selber grotesk bis zur Absurdität ist.
[...] Freilich bleibt ein Widerspruch zwischen Inhalt und Form auch dann erhalten, wenn die Form als durchaus logischer künstlerischer Ausdruck des festgestellten Aberwitzes aufgefaßt und als bewußt angewandtes Mittel der Verfremdung, der Bewußtmachung, verstanden wird. Vom blutigen Ernst, der uns in der Inszenierung des Theatre Workshops vor allem in der Form projizierter Dokumentaraufnahmen von den Schlachtfeldern des ersten Weltkrieges anspricht, bleibt sozusagen bestimmend der blutige Hohn. Unbeantwortet durch künstklerische Veranschaulichung bleibt auch die Frage, warum sich diese Abermillionen Soldaten auf beiden Seiten lieber gegenseitig abschlachten ließen, als diesem imperialistischen Mordsystem ein Ende zu machen. Trotz dieser Mängel bleibt das Musical ein außerordentlich kühnes künstlerisches Unterfangen, einen ungeheuerlichen Stoff auf große Weise zur Anschahung und zum Bewußtsein zu bringen.
[...] Das Berliner Publikum spendete begeisterten Applaus, es drückte den Schauspielern die Hände, die in den Zuschauerraum herabstiegen. Die völkerverbindende Kraft fortschrittlicher Kunst wurde zum Ereignis."
Ernst Schumacher: Ach, was für ein reizender Krieg, Außerordentliche Begeisterung für das Workshop Theatre London. In: Berliner Zeitung, Nr. 279, 10. Oktober 1965. [Hervorhebungen im Original]
Medien / Publikationen
Audio-Aufnahmen
- "Oh What A Lovely War". A New Musical. Original Cast Recording, Decca LK 4542, UK 1963 (Vinyl LP)
Video / DVD
- "Oh! What A Lovely War". Großbritannien 1969, The Special Collector´s Edition, Paramount Stars. (1x DVD)
Literatur
- Theatre Workshop: Oh What A Lovely War. Original Version edited and introduced by Joan Littlewood. London: Methuen 2000.
- Michael Billington: An introduction to ´Oh What a Lovely War´. Online-Text der British Library, veröffentlicht am 7. September 2017: https://www.bl.uk/works/oh-what-a-lovely-war.
Kommentar
In der Bundesrepublik reiste das Ensemble im Anschluss an das Gastspiel in Münster weiter nach Kassel, Hamburg, Stuttgart, München, Köln, Wiesbaden und Essen.
In der DDR gastierte das Ensemble auch in Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig.
Empfohlene Zitierweise
"Oh What A Lovely War" ("Ach, was für ein reizender Krieg"). In: Musicallexikon. Populäres Musiktheater im deutschsprachigen Raum 1945 bis heute. Herausgegeben von Wolfgang Jansen und Klaus Baberg in Verbindung mit dem Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. www.musicallexikon.eu
Letzte inhaltliche Änderung: 25. Januar 2021.