Moby Dick
(ohne Gattungsbezeichnung)
Musik und Gesangstexte von Anna Calvi
Additional Music von Chris Wheeler und Dom Bouffard
Text von Herman Melville in einer Übersetzung von Matthias Jendis
mit zusätzlichen Texten von Robert Koall und Eli Troen
Bühnenfassung von Robert Koall
Inszenierung
Uraufführung: 7. September 2024
Schauspielhaus, Düsseldorf, Bundesrepublik Deutschland
- Musikalische Leitung: Dom Bouffard
- Music Supervisor und Arrangements: Chris Wheeler
- Regie, Bühne und Licht: Robert Wilson
- Co-Regie: Ann-Christin Rommen
- Kostüme: Julia von Leliwa
- Co-Bühnenbild: Serge von Arx
- Co-Lichtdesign: Marcello Lumaca
- Video: Tomasz Jeziorski
- Make-Up-Design: Manu Halligan
- Sounddesign: Torben Kärst
Besetzung:
- Kapitän Ahab: Rosa Enskat
- Starbuck, Offizier: Heiko Raulin
- Flask, Offizier / Father Mapple: Jürgen Sarkiss
- Ismael, Seemann: Kilian Ponert
- The Boy: Christopher Nell
- Queequeg, Harpunier: Yaroslav Ros
- Tashtego, Harpunier: Moritz Klaus
- Fedallah, Harpunier: Roman Wieland
- Perth, Seemann: Jonas Friedrich Leonhardi
- Manxman, Seemann / Kirchgängerin: Belendjwa Peter
- Bulkington, Seemann / Kirchgängerin: Michael Fünfschilling
V.l.: Michael Fünfschilling (als Bulkington), Moritz Klaus (als Tashtego) (c) Düsseldorfer Schauspielhaus / Foto: Lucie Jansch |
Premierenchronik
D | UA | 7. September 2024 | Schauspielhaus, Düsseldorf |
Inhaltsangabe
"Es ist eine einfache Geschichte: Ismael fährt zur See und heuert auf dem Walfänger Pequod an, der von Kapitän Ahab befehligt wird. Der ist besessen von der Jagd nach dem weißen Pottwal, der ihm einst ein halbes Bein abriss. Mit seiner Mannschaft sucht er das Tier auf allen Meeren, sie finden es und werden schließlich fast alle von ihm in den Tod gerissen."
(Presse-Info zur Premiere, Homepage Düsseldorfer Schauspielhaus)
Heiko Raulin (als Starbuck), Rosa Enskat (als Kapitän Ahab), Ensemble (c) Düsseldorfer Schauspielhaus / Foto: Lucie Jansch |
Kritiken
"Der 82-jährige Robert Wilson, Form- und Beleuchtungsmeister des Welttheaters, hat zur Saisoneröffnung des Düsseldorfer Schauspielhauses Herman Melvilles Roman 'Moby Dick' inszeniert. Einerseits weiß man seit Jahrzehnten, was man sehen wird, wenn Wilson draufsteht: hochkomplexe Lichtregie, exquisite Kostüme, artifizielles, vom Text abgekoppeltes Spiel, das Repertoire Wilson’scher Handgesten, expressionistische Defilees, Wiederholungen. Andererseits hängt es immer von der Umsetzung ab, wie gut das alles funktioniert. Zuletzt zeigte 'Dorian', ein grandioser Solo-Abend mit Christian Friedel am selben Ort, wie viel man aus der Wilson-Ästhetik herausholen kann, wenn sie auf einen Darsteller trifft, der auch fern aller Psychologisierung die nötige Präzision und Intensität mitbringt.
Bei der Premiere von 'Moby Dick' mangelt es noch etwas an Genauigkeit. Die Abstimmung von Soundeffekten, Musik und Bewegungen hakt bisweilen, die Exaktheit der Abstimmung verschiedener Darsteller aufeinander ist noch ausbaufähig. Dabei gibt es Highlights im Ensemble: Ein idealtypischer Wilson-Schauspieler (und neu im Ensemble) ist Christopher Nell, der mit seiner schmächtigen Statur, hohen Stimmlage und burlesken Körperkomik als 'The Boy' die Szenen zwischen Nantucket und hoher See als ironischer Kommentator begleitet. Auch Kilian Ponert als nomineller Erzähler Ismael hat für seine erste Zusammenarbeit mit dem Amerikaner die kantige, puppenhafte Spielweise sehr gut verinnerlicht. Bei der Gestik von Yaroslav Ros’ Harpunier Queequeg hat Wilson anscheinend sein Repertoire erweitert und einige Gesten des polynesischen Kriegstanzes Cibi eingefügt. Rosa Enskat, die bereits in Wilsons 'Sandmann' dabei war, und die der Regisseur dem Vernehmen nach unbedingt für diese Rolle haben wollte, fehlt hingegen als Kapitän Ahab die letzte Furcht einflößende Walmord-Monomanie."
Alexander Menden: Fishing for Compliments. In: Süddeutsche Zeitung, 8. September 2024.
"Mächtig wirft sich der schwarze Wal aus den Wellen, blickt siegesgewiss in den Schiffsbauch des Düsseldorfer Zuschauerraums. Möwen kreischen im Surroundsound. Ein anhaltend hoher Ton kündigt den kommenden Sturm an. Er stammt von einem Glas, das im Orchestergraben zum Singen gebracht wird. Dann lässt es das kleine Orchester gewaltig aufbrausen, eine Welle aus E-Gitarren, Schlagwerk und anschwellenden Geigen türmt sich auf und bricht, während der Prospekt mit dem eindrucksvollen Seestück hochgefahren wird.
So viel dunkle Romantik muss sein. Sieht nicht der junge Seemann Ismael, als er am Anfang von Herman Melvilles 'Moby-Dick' das 'Spouter-Inn' betritt, ein solches Gemälde, groß, verschmutzt, mit einem 'unheilvollen Etwas', einem 'gigantischen Fisch' in seiner Mitte? Und führt ihn nicht jener vom Tabakgenuss verrußte Ölschinken und der darauf dargestellte Wal zu sehr viel eindrücklicheren, wie wohl abstrakteren Betrachtungen über die endlose See, ihre größten Bewohner und die kleinen Menschen, die ihnen nachjagen?
Nicht anders verhält es sich in Robert Wilsons Version des berühmten Stoffes. Dem Überwältigungskitsch folgen die bekannt strengen Tableaus des Star-Regisseurs.[...] Seine Tableau-artigen Arbeiten wirken wie ein letztes Bollwerk der bildverliebten Postmoderne und passen damit ideal in die westdeutscheste aller Städte. 'Moby Dick', erneut mit Songs der britischen Rock-Gitarristin und -Sängerin Anna Calvi, ist bereits Wilsons vierte Produktion am Gustav-Gründgens-Platz und ein mehr als würdiger Spielzeit-Auftakt.
Ein grandioses Bollwerk sollte man ergänzen, denn der 82-Jährige bewegt sich noch immer auf der Höhe seiner Kunst, jede neue Szene ist ihr eigener Wow-Effekt in Schwarz und Weiß, vom flachen Riesenhaus, aus dem ein alter, weißbärtiger Ismael tritt, um einem zappeligen Jungen ein weiteres Mal die Mär vom verrückten Kapitän Ahab und seiner letzten Fahrt zu erzählen, bis zu den schwarzen Walfischbooten, aus denen Matrosen mit Taschenlampen ins Publikum leuchten, über ihnen ein ahnungsvoller Himmel voller Möwen.
Einerseits: Man kennt das alles. Die Scherenschnitt-Optik, die Lichtmalereien, die Caspar-David-Friedrich’schen Rückenfiguren. Andererseits: In der Auseinandersetzung mit diesem All-inclusive-Roman, der für seinen schieren Umfang, für seine Erzählwut, für seine formalen Volten berühmt ist, funkelt Wilsons strenger Stil umso kontrastreicher. Melvilles rund 200.000 Wörter hat der Regisseur bis auf wenige Phrasen eingedampft. Die werden desto manischer wiederholt, bis zur Unsinnigkeit, bis sich die Bilder endgültig vom Text emanzipiert haben."
Christian Bos: Diesen Abend von Regiestar Robert Wilson muss man gesehen haben, "Moby Dick" in Düsseldorf. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 8. September 2024.
"Was macht ein Theatermagier, wenn er alt ist? Das, was immer funktioniert hat. Wie ein One-Trick-Pony der edelsten Sorte. Robert Wilson ist 82, einer der Letzten seiner Art. Er hat, bewundert viel und seltener gescholten, seine Unverwechselbarkeit ins Extreme kultiviert. Bild vor Text, Optik als große Erzählung, feinziseliertes Lichtspiel: alles Wilson in Personalunion.
[...] Und darum war alles so schön (für die Fans) wie schrecklich vertraut (für die paar anderen) Samstag im Düsseldorfer Schauspielhaus. Die bleichgeschminkten Schauspielergesichter mit den roten Mündern, die seriellen Sturmfrisuren als Kostüm-Krönchen, der Rigorismus des Farb-Einsatzes (hier fast nur in Schwarz und Weiß, letzteres von Neon bis Elfenbein), die Quietschtöne, die Zehnerkarte fürs Wiederholungskarussell der paar Sätze, die dem Meister lieb und teuer sind.
[...] Wie bei Düsseldorfs Dauerbrenner 'Der Sandmann' gibt Anna Calvi in einem knappen Dutzend Songs den Ton an. Das ist solide ausgetüftelt, teils in stampfenden Atmosphären allerdings frech beim 'Fluch der Karibik' abgeguckt und oft vom Versuch gezeichnet, mit der Live-Band rockend jene Härte des Walfanglebens zu markieren, die in Wilsons hochpoliertem Daumenkino längst als quantité négliable gestrandet ist.
[...] Apropos: Fast hätten wir vergessen zu erwähnen, das auch dieser neue Wilson eine Art Musical ist."
Lars von der Gönna: Der Wal im Goldfischglas, Der 82-jährige Theaterzauberer Robert Wilson inszeniert "Moby Dick": starke Bilder; wenig Tiefgang. In: Iserlohner Kreisanzeiger IKZ (Funke Media Gruppe), 9. September 2024, Kultur & Freizeit.
V.l.: Christopher Nell (als The Boy), Kilian Ponert (als Ismael) (c) Düsseldorfer Schauspielhaus / Foto: Lucie Jansch |
Medien / Publikationen
Literatur
- Herman Melville: Moby Dick. Roman, Aus dem Amerikanischen übersetzt von Fritz Güttinger, Zürich: Manesse 1944. (EA 1851)
- Alexander Pechmann: Herman Melville, Leben & Werk. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2003.
- Franco Quadri, Franco Bertoni, Robert Stearns: Robert Wilson. Übersetzung aus dem Italienischen von Uta Grosenick, Stuttgart: DACO Verlag Günter Bläse 1997.
Empfohlene Zitierweise
"Moby Dick". In: Musicallexikon. Populäres Musiktheater im deutschsprachigen Raum 1945 bis heute. Herausgegeben von Wolfgang Jansen und Klaus Baberg in Verbindung mit dem Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. www.musicallexikon.eu
Letzte inhaltliche Änderung: 8. Oktober 2024.