Meine junge alte Stadt (Moskva, Čerëmuški)
Musikalische Komödie
Musik von Dmitri Schostakowitsch
Text von Kuba, nach Wladimir Mass und Michail Tscherwinskij
Dramaturgische Einrichtung von Hanns Anselm Perten
Inszenierung
Deutschsprachige Erstaufführung: 4. Juli 1960
Temporäre Freilichtbühne auf dem Platz der Jugend, Rostock, DDR
- Musikalische Leitung: Gerd Puls
- Regie: Hanns Anselm Perten
- Choreografie: Jean Weidt, Vera Bräuer
- Chöre: Günther Wolf
- Bühnenbild: Hans Poppe, Joachim Keller, Traute Mahler
- Kostüme: Emma Lodemann, Waltraut Damm
- Masken: Joseph Kraus, Paul Zierus
Besetzung:
- Paul Pingel, Schiffsschlosser auf einer Rostocker Werft: Willi Becker
- dessen Mutter: Charlotte Lobenstein
- Dr. Lissa Mau, Tierärztin im Rostocker Zoo: Ada Eilenberg
- Fietje Mau, ihr Großvater, Lotse a.D.: Fritz Süßenbach
- Sylvie Born, Funkerin im Überseehafen Rostock: Erika Solbrig / Jutta Schuchardt
- Klaus Flöter, genannt "Puster", Funker auf der MS "Frieden": Helmut Rehm
- Tetje Flöter, sein Vater, Mitglied einer Fischerei-Produktionsgenossenschaft: Erich Gutte
- Anne Hansen, Genossenschaftsbäuerin: Edith Thümmler
- deren Vater: Hermann Wagemann
- deren Mutter: Senta Bonacker
- Peter Hansen, Annes Mann, Fahrer bei Surbier: Hans Salomon
- Egon Surbier, Hauptabteilungsleiter: Helmut Grell
- Artur Upplegger, Referent bei Surbier: Wolfgang Arnst
- Tilli Domstrich, Angestellte im HO-Café "Gordischer Knoten": Ruth Seidel
- Butje Slüter, Gärtner im VEB Grünanlagen: Eugen Delp
- Mitglieder der Pingelbrigade: Karl-Eugen Lehnkering, Hans Schellenberger, Hermann Stelter, Günther Schlicht
- Funkerinnen im Überseehafen: Dietlinde Greiff, Irmelin Krause, Katrin Stephan, Beate Bauer
- Objektleiter: Herbert Lehmann
- Ein Zoo-Angestellter: Günther H. Wachsmuth
- Ein bildender Künstler: Jörg Kaehler / Jan Knast
- Besucher aus Moskau (Delegationsleiter): Alexander Remo
- Sascha: Hans-Ulrich Kreusch
- Mitglied des Moissejew-Ensembles: Heinz Schnopka
- Sängerin: Eva-Marie Schwarz
- Galina Ulanowa: Helga Meredig
- ihr Partner: Eberhard Reinhold
- Clown Popow: Alfred Lux
- "Tiger Jaschin": Wolfgang Krajewski
- Obrassow: Erhard Treffkorn
- Igor Oistrach: Eberhard Driesnack
- Straßenbahnerin: Anneliese Rapp
- Wissenschaftlerin: Ingeborg Zabel
- Schweißer: Kurt Böttger
- Matrose: Ernst Heise
- Sänger: Aubrey Pankey
- Reporter: Wolf Walther, Hans Linzer, Georg Lichtenstein
- Genossenschaftsbauern: Harry Steinbeck, Max Adalbert Schleyer
- Couplet-Sänger: Johannes Zech
- Couplet-Sängerin: Gisela Kirchner
Weitere Mitwirkende:
- Vereinigte Rostocker Chöre
- Opern- und Konzertchor des Volkstheaters Rostock
- Tanz-Ensemble Rostock
- Schüler und Schülerinnen der Goetheoberschule
- Pionier-Tanzgruppe der Tagesheimschule Rostock
- Kindertanzgruppe der Tagesheimschule Rostock
- Orchester des Volkstheaters Rostock, verstärkt durch Studierende des Konservatoriums Rostock
- Corps de ballet des Volkstheaters Rostock
- Angehörige der Freien Deutschen Jugend
Chöre
- Schiffsmontage, Warnowerft, Oberschulen, Neptunwerft, kaufmännische Berufsschulen, Öl- und Magarinewerke, Rat der Stadt, Bau-Union, Energie, Karl-Marx-Oberschule, Landwirschaftsliches Versuchs- und Untersuchungswesen
Premierenchronik
UdSSR | UA | 24. Januar 1959 | Operettentheater, Moskau |
DDR | Dspr. EA | 4. Juli 1960 | Platz der Jugend, Rostock |
DDR | Dspr. EA | 3. November 1962 | Theater Kleines Haus Dreilinden, Leipzig |
GB | EA | 19. Oktober 1994 | Lyric Theatre, Hammersmith London |
D | EA | 2. Juni 2000 | Theater, Regensburg |
A | EA | 7. Mai 2005 | Kammeroper, Wien |
Inhaltsangabe
"Die ersten Szenen hindurch in bezug auf die dramaturgischen Zusammenhänge im dunkeln tappend, entnimmt man dem Personenzettel, daß es um die Rostocker Tierärztin Lisa Mau geht, die ein uneheliches Kind hat und von ihrem Großvater wieder verheiratet werden soll. In Frage kommen drei Herren: ein Schiffsschlosser von der Warnowwerft, den man den Endsieg am allerwenigsten zugetraut hätte, weil man erst gegen Ende des Stückes merkt, wer er eigentlich ist, ein flotter Funker, den man zunächst für den Richtigen hält, und der schon genannte Hauptabteilungsleiter. Der schied allerdings zeitig aus, denn man sieht es ihm schon beim ersten Auftritt an, daß er demnächst außer Kurs gesetzt werden wird. Die Witzeleien seines Referenten über innerbetriebliche Kritik gehören übrigens zum alten Eisen. [...]
Doch halt! - Da gibt es auch noch eine landwirtschaftliche Genossenschaft, freundschaftlich mit der Tierärztin Lisa Mau verbunden, und einen Schweineoffenstall, dessen Bau Hauptabteilungsleiter Surbier nicht verhindern kann. Auch da entnimmt man dem Programmzettel, daß es unter der bäuerlichen Menge eine Genossenschaftsbäuerin Anne Hansen, ´deren ´Mann´, ´deren Mutter´ sowie ´deren Vater´ gibt. Scherz beiseite, wenngleich es sich um ein heiteres Thema handelt: Ein so umfangreicher und verwickelter Personenzusammenhang ist für eine Massenaufführung im Freien doch wohl nicht geeignet."
(aus: Horst Seeger: Meine junge alte Stadt, Freilichtaufführung des Volkstheaters Rostock zur Ostseewoche. In: Neues Deutschland, Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Nr. 185, 7. Juli 1960)
Kritiken
"Das diesjährige Festprogramm der Ostseewoche ist das Hohelied der Liebe, der neuen menschlichen Beziehungen zueinander - ist das Hohelied sozialistischen Lebens. Blutvolle Gestalten, typisch für die Seestadt Rostock, begegnen uns auf der großen Bühne, und sie sind gekleidet wie du und ich es jeden Tag auf der Straße neu erleben: Farbenfroh und schick - duftig und elegant! Und du denkst: Ist es tatsächlich nur ein Spiel? Könnte es nicht in Hunderten Familien Wirklichkeit sein, was sich dort tut? Können wir, gastgebender Bezirk der DDR, unsere sozialistische Welt den ausländischen Gästen noch eindrucksvoller nahebringen? [...]
Schostakowitsch kniete sich mit Lust und Liebe in dieses Werk und schrieb eine Musik, die an die besten Traditionen der Operette anknüpft. Hauptmerkmale seiner Musik: Sie ist volkstümlich, ist kerngesund, so herzerfrischend fröhlich, so optimistisch-humorvoll, im besten Sinne allgemeinverständlich. Es sind herrliche Stücke dabei, die sofort ins Ohr gehen. [...]
Doch diese Musik wurde zu ´Moskau - Tscherjomuschki´ geschrieben, zu einem typisch Moskauer Libretto von Mass und Tscherwinski. Und zu dieser Musik, die unverändert übernommen wurde, ein völlig neues, auf Rostock, die junge alte Stadt bezogenes Libretto? Das ist auch noch nicht dagewesen. [...]
So schuf Kuba mit großer sprachlicher Meisterschaft die Worte zu einem musikalischen Werk, das die Kraft der Liebe und die Schönheit unseres Lebens besingt, dessen Schattenseiten es nicht verdeckt, sondern sie dem Gelächter preisgibt. Diese Operette beweist, daß jene nicht recht haben, die glauben, die leichte Muse könne keine große Kunst sein."
Alex Baer, Gertrud Henni, Rita Kleinert, Otto Zengel: "...und wir glauben an das Lachen", Glanzvolle Premiere des Festprogramms der Ostseewoche "Meine junge alte Stadt" am Montagabend auf dem Platz der Jugend. In: Ostsee-Zeitung, Nr. 158, 6. Juli 1960.
"Im Januar vorigen Jahres erlebte im Moskauer Operettentheater ´Moskau-Tscherjomuschki´, Text: W. Mass und M. Tscherwinski, Musik: Dmitri Schostakowitsch, ihre erfolgreiche Uraufführung. Es war eine kleine Sensation. Einer der bedeutendsten ´ernsten´ sowjetischen Komponisten, der Sinfoniker Schostakowitsch, hatte eine Operette geschrieben! Er hatte es nicht für unter seiner Würde gehalten, sich mit diesem ´leichten´ Genre des Musiktheaters zu beschäftigen, weil er wußte, daß solche Werke gebraucht werden. Und er hat das - wie alles, was er in die Hände nimmt - meisterhaft getan. Seine Musik hat Schwung, Humor, ist keck, empfindungsvoll, meisterlich gearbeitet und vor allem: Sie geht ins Ohr, ist volkstümlich, ohne dabei auch nur im geringsten der kitschigen spätbürgerlichen Operettenschablone Zugeständnisse zu machen. Schostakowitsch hat mit diesem Werk bewiesen, daß man auch als Operettenkomponist sozalistischer Musiker sein kann. - Die Komponisten unserer Republik sollten dieses Werk genau studieren!
Und als sozialistischer Musiker wollte Schostakowitsch auch hier nicht nur unterhalten. Er wollte unterhaltend verändern, die Entwicklung im Denken und in den Beziehungen der Menschen vorwärtsbringen."
Jansjürgen Schaefer: Meine junge alte Stadt, Das Festprogramm der Ostseewoche 1960. In: Berliner Zeitung, Nr. 179, 6. Juli 1960.
"Zunächst also gebührt Kuba und Perten Dank für ihre Initiative. Sie wandelten Schostakowitschs Operette in einen Rostocker Schwank mit etwa tausend Mitwirkenden um. Soweit so gut die Tat! Doch nun ihre Folgen: Jetz haben wir nach dem Moskauer Stück, das nur in Moskau aufführbar ist, ein Rostocker Stück, das allerdings nicht das ganze Rostock mit seinem sozialistischen Aufbautempo vollständig erfaßt. Sehen wir ab von der Konzeption für Massenspiele auf einer Freilichtbühne - solche Bühnen gibt es auch anderswo - , so dürfte das vielfach eingestreute Rostocker Platt mitsamt den Rostocker Lokalproblemen beispielsweise in Leipzig oder Berlin in der vorliegenden Form nicht recht über die Rampe kommen. Auch ist zu bezweifeln, ob anderswo Amtserschleichung und Bürokratismus, eheliche Untreue und verzwickte Familienprobleme derart im Vordergrund unseres Lebens und des allgemeinen Interesses stehen, wie es laut Kuba in Rostock der Fall sein soll. [...]
Immerhin, die heitere Muse ist im Vormarsch! Da nun aber ´Meine junge alte Stadt´ ganz und gar für Rostock geschrieben ist und so schnell anderswo keine Aufführung erleben wird, müssen wir das Stück nach dem beurteilen, was wir auf der Rostocker Freilichtbühne sahen und hörten, nicht so sehr nach Textbuch und Partitur. Und da muß zunächst gesagt werden, daß man die näheren Zusammenhänge der Handlung vielfach nur aus dem Programmzettel erraten kann. Im Ernst: Ein Hauptmangel dieser sicherlich großartig gedachten und für das Auge sehr gefälligen Aufführung besteht darin, daß man als Uneingeweihter gar nicht mitbekommt, worum es sich im einzelnen dreht. Das liegt nicht in erster Linie daran, daß die akustische Seite der Darbietung (besonders was die Wiedergabe der Musik betrifft) sehr unbefriedigend ist, es liegt in erster Linie daran, daß Kubas neues Libretto ein Stück für den Theatersaal ist, wo man jedes einzelne Textwort genau verstehen kann, in Pertens Aufführung aber der linke Flügelmann des Chores vom rechten einhundertfünfzig Meter entfernt steht und der Klamauk um den korrupten Hauptabteilungsleiter im Staatsapparat und seinen kriecherischen Referenten sich infolge seiner Lautstärke und Aufdringlichkeit in den Vordergrund drängt. [...]
Wir haben auch nicht den Eindruck, daß den Rostockern die beinahe abendfüllende Darstellung der Ämterkorruption besonders interessant vorkam. Daß sie mit ihrer Verwaltung ganz andere Erfahrungen haben, beweisen nicht zuletzt der schnelle Aufbau in ihrer Stadt und die Leistungen des Bezirks in Industrie und Landwirtschaft."
Horst Seeger: Meine junge alte Stadt, Freilichtaufführung des Volkstheaters Rostock zur Ostseewoche. In: Neues Deutschland, Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Nr. 185, 7. Juli 1960.
Medien / Publikationen
Audio-Aufnahmen
- "Moskva, Cheremushki". Premiere recording of the complete operetta, Russian State Symphonic Capella, Dirigent: Gennady Rozhdestvensky. Chandos Records 1997, CHAN 9591(2). (2xCD)
Video / DVD
- "Cheriomushki" (engl. Titel: "Cherry Town"). UdSSR 1963, Regisseur: Herbert Rappaport, Released als DVD 2007, Universal. (1xDVD)
Literatur
- Krzysztof Meyer: Schostakowitsch: Sein Leben, sein Werk, seine Zeit. Mainz: Schott 1998.
- Stefan Weiss: Die Großstadt im Musiktheater Dmitri Schostakowitschs, Zwei Studien. In: Stefan Weiss, Jürgen Schebera (Hrsg.): Street Scene, Der urbane Raum im Musiktheater des 20. Jahrhunderts. Veröffentlichungen der Kurt-Weill-Gesellschaft Dessau, Band 6, Münster u.a.: Waxmann 2006, Seite 161-188.
- Wolfgang Jansen: From "Trembita" (1952) to "The King David Report" (1989), Operettas and musicals from European socialist countries in the repertoire of the GDR. In: Ders. (Hrsg.): Popular Music Theatre under Socialism, Operettas and Musicals in the Eastern European States 1945 to 1990. Populäre Kultur und Musik, Band 30, Münster u.a.: Waxmann 2020, Seite 143-172.
Kommentar
Die Uraufführung gehörte mit zum Festprogramm der Ostseewoche 1960.
Kuba (= Kurt Barthel) und Hanns Anselm Perten veränderten die Vorlage so stark, dass ihre Fassung nicht wie verabredet vom Henschel-Verlag in den Vertrieb aufgenommen wurde. Stattdessen wurde eine neue Übersetzung in Auftrag gegeben, die am 3. November 1962 unter dem Titel "Alle helfen Lidotschka" in der Musikalischen Komödie, Leipzig, zur Erstaufführung kam.
Die erste bundesdeutsche Inszenierung in neuer Übersetzung fand in Regensburg statt. Erstmals wurde auch der Originaltitel übernommen.
Empfohlene Zitierweise
"Meine junge alte Stadt" ("Moskva, Čerëmuški"). In: Musicallexikon. Populäres Musiktheater im deutschsprachigen Raum 1945 bis heute. Herausgegeben von Wolfgang Jansen und Klaus Baberg in Verbindung mit dem Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. www.musicallexikon.eu
Letzte inhaltliche Änderung: 19. Juli 2023.