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Pfeifen kann doch jeder (Anyone Can Whistle)

Musical


Musik und Songtexte von Stephen Sondheim
Buch von Arthur Laurents
Deutsche Fassung von Martin G. Berger

 

 

Inszenierung


Deutschsprachige Erstaufführung: 5. April 2022
Mecklenburgisches Staatstheater, Schwerin, Bundesrepublik Deutschland

  • Musikalische Leitung: Michael Ellis Ingram
  • Regie: Martin G. Berger
  • Bühne: Sarah-Katharina Karl
  • Kostüme: Alexander Djurkov Hotter
  • Choreografie: Marie-Christin Zeisset
  • Video: Roman Rehor

 

Besetzung:  

  • Felicitas Apfel, genannt Fee: Sophia Euskirchen
  • Cora Heimlich-Herrlich: Stefanie Dietrich
  • Dr. Yakub Adam: Omar El-Saeidi
  • Stadtrat Schub: Fabian Gerhardt
  • Polizeipräsident Puder: Frank Wöhrmann
  • Kämmerer Kuhl: Robin Poell
  • Dr. Siegfried Detmold: Franz Sieveke
  • Frau Schröder: Manuela Schütte
  • Max Mustermann: Michael Meiske
  • Paul: Marius Pallesen
  • Paula: Katrin Hübner
  • Martin: Jaewon Kim
  • Ein Mann: Martin Vannahme
  • Baby Joan: Clemens Koball / Matu Freitag
  • Erzählerstimme: Martin G. Berger

 

 

 

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Sophia Euskirchen (Felicitas Apfel), im Hintergrund der Opernchor

© Mecklenburgisches Staatstheater, Schwerin / Foto: Silke Winkler

 

 

 

Premierenchronik

USA UA 4. April 1964 Majestic Theatre, New York
GB EA 21. August 1986 Everyman Theatre, Cheltenham
D Dspr. EA 5. April 2022 Mecklenburgisches Staatstheater, Schwerin

 

 

 

Inhaltsangabe


"Eine vergrätztke Bevölkerung misstraut den politischen Eliten. Und dieser Ärger aufs Establishment macht den Lenkern der öffentlichen Ordnung zu schaffen, entsprechend muss schnell eine Lösung her, bevor die nächste Wahl ins Haus steht. Und so bedient sich der Machtapparat um Bürgermeisterin Cora Heimlich-Herrlich eines machiavellistischen Geniestreichs: Eine breit angelegte Fake-News-Kampagne propagiert eine vermeintliche Wunderquelle in ihrer Stadt - das schafft Aufmerksamkeit und lockt Gäste an. Und die in Scharen kommenden Pilger müssen, um vom Trunk kosten zu können, selbstverständlich erst einmal blechen. Reichlich Kohle soll damit in die kommunalen Kassen fließen. Doch Heimlich-Herrlichs Plan hat einen Haken. Die Ärztin und Wissenschaftlerin Felicitas Apfel durchschaut die Absichten der skrupellosen Politikerin. Mit ihren Patienten, den Insassen der örtlichen Psychiatrie, macht sich Apfel auf den Weg, um das große Blendwerk aufzudecken. Was folgt, ist ein kultureller Kampf, ausgefochten im lokalpolitischen Brennglas. Es ist ein Gefecht um Deutungshoheit sowie gesellschaftliche Wahrheitsproduktion, in dem Kategorien aufgebrochen werden, kühle Wissenschaft auf gesellschaftliche Sehnsüchte prallt."

(aus: Philip Miles Pankow: Pfeifen kann doch jeder, Deutschsprachige Erstaufführung in einer Inszenierung, in der wirklich alles stimmt. In: musicals, Das Musicalmagazin, Heft 213, Juni/Juli 2022, Seite 26-27.)

 

 

 

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Sophia Euskirchen (Felicitas Apfel), Omar El-Saeidi (Dr. Yakub Adam)

© Mecklenburgisches Staatstheater, Schwerin / Foto: Silke Winkler

 

 

Kritiken

 

"Premiere hatte das Musical bereits vor über 50 Jahren, in den seinerzeit vom gesellschaftlichen Aufbruch geprägten USA der Sechzigerjahre. Doch dieser Stoff lädt heute noch zu einer aktualisierten Aufführung ein. Es ist eine Geschichte über eine Stadt, die pleite ist und für eine touristische Wiederbelebung eine Heilquelle einfach mal so erfindet. Dass aber die Psychatrie-Oberschwester Felicitas Apfel (Sophia Euskirchen) auch ihre Patienten davon trinken lassen will, bringt das Lügengebäude ins Wanken. Die Grenzen zwischen touristischer Vermarktung und medizinischer Anwendung verschwimmen. Und angesichts dieser Lage stellt sich schließlich auch die Frage: Wer ist hier eigentlich verrückt und wer nicht? Damit sind die Darsteller beim Überthema, was überhaupt Normalität ausmacht. [...]

Das Musical war lange ein Geheimtipp. Martin G. Berger hat den englischen Originaltext hierfür nicht nur selbst ins Deutsche übersetzt, sondern auch um zahlreiche aktuelle Anspielungen erweitert - es sind im Text regionale Bezüge dabei, auch Verweise auf die gesellschaftlichen Unsicherheiten angesichts der Corona-Pandemie. Schließlich wird das ins Heute transformierte Stück zu einem mit leichter Hand servierten Plädoyer für das selbstbewusste Anderssein, wenn Herkunft, Geschlecht und Religion keine Rolle mehr spielen soll(t)en. Die Aktualität ist eigentlich mit dem Alter dieses Werkes noch stärker geworden, die Botschaft passt in die Zeit."

Thorsten Czarkowski: Sondheim-Musical hatte in Schwerin Premiere. In: Ostsee Zeitung, 7. April 2022.

 

"Doch eines seiner [Stephen Sondheims] ersten großen Werke, für das Sondheim nicht nur textete, sondern auch komponierte, floppte kolossal. Als ´Anyone Can Whistle´ (Buch: Arthur Laurents) 1964 am Broadway herauskam, fiel bereits nach neun Vorstellungen der finale Vorhang - ein Produzenten-Albtraum!

Sondheims anarchistisch, komödiantisch anmutendes Musical über Konformismus und gesellschaftliche Konstruktion hatte zu Zeiten des Kalten Krieges offenbar den Bogen der Mainstream-Tauglichkeit weit überspannt. Doch so richtig in der Musical-Mottenkiste verschwunden ist es nie, zum Glück. Über ein halbes Jahrhundert sollte es dauern, bis der Flop von einst 2022 plötzlich jenseits des Atlantiks seine verdiente Anerkennung findet. Denn Martin G. Berger, Operndirektor am Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin, hat erkannt, welches Potenzial in Sondheims Musical steckt. [...] 

Regisseur Martin G. Berger gelang in Schwerin etwa ganz Besonderes: ´Pfeifen kann doch jeder´ ist das Musical, das diese Zeit wohl braucht - eine bitterböse, vielschichtige Gegenwartsanalyse, die noch dazu wahnsinnig unterhaltsam ist. Wer hätte gedacht, dass das alles mit solcher Leichtigkeit funktionieren kann. Das Schweriner Publikum riss das mitunter von den Sitzen. Und eines ist sicher: Diese Inszenierung wird mehr Aufführungen verbuchen als weiland am Broadway!"

Philip Miles Pankow: Pfeifen kann doch jeder, Deutschsprachige Erstaufführung in einer Inszenierung, in der wirklich alles stimmt. In: musicals, Das Musicalmagazin, Heft 213, Juni/Juli 2022, Seite 26-27.

 

"Zum Schluss, als das große Ensemble pfeifend auf der Bühne steht und sich in den begeisterten Schlussapplaus auch enthusiastische Pfiffe aus dem Publikum mischen, hat der in die ihm eher fremde Welt des Musiktheaters abkommandierte Kritiker vor allem eine Frage: Ist ein Debatten-Musical wirklich dazu angetan, aktuelle gesellschaftliche Probleme und soziologische Verwerfungen zu diskutieren? Oder ist das Publikum vielleicht nicht schon viel weiter, rennt das Theater hier offene Türen ein? [...]

Natürlich wird dem Musicalliebhaber all das geliefert, was er von diesem Genre erwarten darf: Lieder, die den Seelenzustand der Figuren widerspiegeln und, so muss es wohl sein, mit den letzten, ins Publikum geschmetterten Tönen um Szenenapplaus buhlen. Hymnische Chöre und rasant choreografierte Tänze, wobei die Damen und Herren des Opernchors ungewohnt agil und tänzerisch mit dem Ballett verschmelzen.

Das Ereignis dieses fast dreistündigen Abends sind zweifellos die beiden Protagonistinnen: Oberschwester Fee Apfel, gespielt von der jungen Sängerin Sophia Euskirchen, und ihre Kontrahentin, Oberbürgermeisterin Cora. [...] Eine Wucht in Bühnenpräsenz und Stimmvolumen Stefanie Dietrich als Politikerin - eine Kombination aus singender, steppender und tanzender Helga Hahnemann, Hella von Sinnen und Dolly Parton. [...]

Bleibt noch die Anfangsfrage, ob Debatten, etwa über Geschlechterrollen, Identität und Selbstbestimmung, in dieser Inszenierung zwischen E und U eine überzeugende Form gefunden haben.

Der Kritiker hat da so seine Zeifel, wünschte sich einen weniger moralisierenden Zugriff auf Gegenwart. Und kann - nicht nur im mataphorischen Sinne - wirklich nicht pfeifen."

Holger Krankel: Normal, verrückt, normal verrückt. In: Schweriner Volkszeitung, 6. April 2022.

 

 

 

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Stefanie Dietrich (Cora Heimlich-Herrlich)

© Mecklenburgisches Staatstheater, Schwerin / Foto: Silke Winkler



 

Medien / Publikationen


Audio-Aufnahmen

  • "Anyone Can Whistle". Original Broadway Cast, Studio-Einspielung 1964, Columbia KOL 6080, realeased: 1964. (Vinyl, 1xLP)
  • "Anyone Can Whistle". First Complete Recording, Studio Cast, Einspielung 1997 und 2013, Jay Records CDJAY2 1249, released 2020. (2xCD)

 

Literatur

  • Joanne Gordon: Art Isn´t Easy, The Theater of Stephen Sondheim. Da Capo Press 1990.
  • Arthur Laurents: Original Story by Arthur Laurents, A Memoir of Broadway and Hollywood. New York u.a.: Applause 2000.
  • Robert L. McLaughlin: Stephen Sondheim and the Reinvention of the American Musical. University Press of Mississippi 2018.

 

 

 

Kommentar

 
Der Premiere voraus ging eine konzertante Aufführung der "Berger und Sandweg Bühnenproduktionen GbR" am 10. Februar 2012 in Berlin. Martin G. Berger war der Initiator.  

 

 

Empfohlene Zitierweise

 
"Pfeifen kann doch jeder" ("Anyone Can Whistle"). In: Musicallexikon. Populäres Musiktheater im deutschsprachigen Raum 1945 bis heute. Herausgegeben von Wolfgang Jansen und Klaus Baberg in Verbindung mit dem Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. www.musicallexikon.eu

Letzte inhaltliche Änderung: 18. Juli 2022.